Der 8-Stunden-Mythos

Entlarvt vom COVID-19-Lockdown

Wir sind alle im Homeoffice, eine Video-Telko jagt die andere, zwischendurch Kinder bekochen, bespaßen und home-schoolen. Und am Abend mit dem Gefühl ins Bett: (a) man ist so furchtbar geschafft... und (b) man hat so furchtbar wenig geschafft. Man denkt zurück an die Tage, an denen man 8 Stunden pro Tag im Office war und denkt: Mensch, ich kriege zur Zeit so viel weniger gebacken.

Aber ich glaube, das stimmt nicht. Ich glaube, dass wir einem fatalen Irrtum aufsitzen, der wie folgt funktioniert: Wir bauen das Büroleben im Homeoffice nach mit mehr oder weniger gut funktionierender Remote-Arbeit. Dann merken wir, dass das nicht hinhaut. Ergo denken wir, wir seien zu Hause weniger produktiv. 

Der 8-Stunden-Tag ist ein Mythos

In Wahrheit jedoch haben wir im Büro nie 8 Stunden am Tag produktiv gearbeitet. Niemand tut das. Im Homeoffice werden aber die vielen Zwischenzeiten, zwischen den Meetings, zwischen den Zeitblöcken von Arbeit, mal mit der Oma telefonieren, mal ein Butterbrot schmieren, die vielen (nötigen) Pausen und so weiter und so fort — all diese Zeit wird irgendwie nicht als Arbeit verbucht. Deshalb kommt man gefühlt auf 5, vielleicht 6 Stunden. Und ich behaupte: Damit hat man sogar mehr gearbeitet als mit 8 Stunden im Büro.

Denn im Büro sind die vielen kleinen Aktivitäten, die mit messbarer Produktivität nichts zu tun haben, Teil des Arbeitsalltags: die sozialen Interaktionen (die es im Homeoffice fast nicht mehr gibt), die Gänge in die Kaffeeküche, die Zeit, die man “nur kurz mal auf spiegel.de” geht. All das ist normal und Teil eines gesunden Alltags. In der Remote-Arbeit aber denkt man, das sei ja nicht Arbeit, das gilt nicht.

Wer “nur arbeitet”, verliert zwei wichtige Dinge...

Wenn man ohne Rücksicht auf Verluste im Einzelkämpfermodus remote arbeitet, “echte” 8 Stunden pro Tag, dann verliert man zwei Dinge: Erstens den Connect zu den Kollegen, zu dem System, in dem man arbeitet, inhaltlich wie sozial, und das hat m.E. langfristig desaströse Folgen. Zweitens verliert man die gesunden Nebenaktivitäten, die einen vor dem Ausbrennen schützen: Den Plausch am Wasserspender, das zur Kaffeemaschine schlendern (und dabei vielleicht den entscheidenden Einfall haben) usw.

Man muss sich klarmachen, dass diese Aspekte des Arbeitens ein überlebenswichtiger Bestandteil normaler Tage sind. Deshalb muss man sie in der Remote-Arbeit “nachbauen”. Virtuelle Kaffeepausen… Kurze Einzel-Video-Telkos mit Kollegen, einfach nur so... Zeiten des Zurücklehnens und über dem Heißgetränk brütend aus dem Fenster schauen... All das ist gut und wichtig. 

Arbeitszeit ist eine denkbar schlechte Metrik

Ich will nicht leichtfertig in die Schönrederei “Krise als Chance” verfallen, dennoch, der Lockdown macht uns verschiedene interessante Dinge klar. Eine davon ist, glaube ich, dass die Zeit, die wir arbeiten, 4 oder 6 oder 8 Stunden, ein ziemlich schlechter Gradmesser ist. War man vor Monaten noch 10 Stunden im Büro, konnte man am Abend pseudostolz erzählen “Heut war ich wieder 10 Stunden im Büro” — dass man dabei für netto 3 Stunden etwas gebacken gekriegt hat, sagte man nicht dazu.

Vermutlich sind wir im Lockdown zuhause im Homeoffice deutlich effizienter. Weil wir mit weniger Ressourcen mehr Impact erzeugen. Und deutlich effektiver. Weil wir uns auf die wichtigen Sachen konzentrieren müssen. Damit zeigt uns die Krise: Brav seine 8 Stunden arbeiten und sinnvolles Arbeiten sind zwei paar Schuhe. Also am Ende doch: Krise als Chance.