Bildet KEINE agilen Teams

Wir probieren jetzt Agile

Wir probieren jetzt Agile

Irgendwer in den oberen Stockwerken hat den Eindruck, mit dem Agile hat es schon was auf sich. Unsere Ergebnisse sind zu wenig innovativ, unsere Time to Market zu lang, bessere Kollaboration wär eh sinnvoll und überhaupt wollen wir eine lernende Organisation sein, die sich schnell und wirkungsvoll auf Veränderungen einstellt.

Also probieren wir Agile. Natürlich kann jetzt nicht auf einen Paukenschlag die ganze Organisation agil werden, und das SAFe-Schaubild haben wir noch nicht ganz verstanden, also machen wir doch einfach Folgendes: Wir bilden ein oder ein paar wenige agile Teams. Als Pilot. Dazu werden mehrere Leute zu bis zu 50% (war nicht einfach!) von der Linie losgeeist, damit sie als crossfunktionales Team an einem Produkt oder Projekt agil arbeiten können. 

Ich hab das oft gesehen, aber ich hab noch nie gesehen, dass Agile auf diese Weise sein Versprechen einlöst und die Benefits alle überzeugen und glücklich machen.

Das ist aber eigentlich auch nicht verwunderlich, weil...

 

Ein agiles Team… und sein Kontext

Im unten zu sehenden Bild habe ich versucht, etwas überspitzt — aber nicht sehr — darzustellen, wie sich das Ganze nun darstellt. Wir haben ein oder ein paar agile Teams. Wir haben die Hierarchie, Linien, Agendas, Personen, Rollen, Prozesse usw. “oben drüber” und “drum herum”, die es immer schon gab. Bzw. immer schon, seit wir glauben, wir müssen Organisationen so bauen wie eine Armee oder die katholische Kirche.

Das heißt, neben der Führungskraft (FK) “ganz oben”, die eine agile Transformation will, und einem Visionär, der das auch will, haben wir eine FK, die noch zwei Jahr bis zur Rente hat und Change so dringend braucht wie ein Magengeschwür; wir haben eine FK, die jetzt schon null Zeit hat für überhaupt gar nichts, für Change schon dreimal nicht, lasst mich bloß in Ruhe; eine FK, die das zwar alles ganz gut findet, aber den anderen, weniger positiven FKs kein Auge aushackt (dieser Nichtangriffspakt hat schon immer gut funktioniert).

Dann haben wir eine FK, die weder weiß, was Agile ist, noch es wissen will, es passt doch alles, wozu was ändern?! Und eine FK (in der Realität sind es meistens mehrere), für die das mit den agilen Teams nach Machtverlust riecht, deshalb arbeitet sie hinter den Kulissen kräftig dagegen.

Und in diesem Umfeld soll das agile Team nun beweisen, dass Agile richtig gut funktioniert und zu tollen Ergebnissen führt. Na dann, viel Spaß.

Du wirst nicht fit, indem du ‘nen Finger und ein Knie fit machst

Ich möchte die Metapher “körperliche Fitness” anführen: Wir wollen beweglicher, gesünder, fitter werden. Das werden wir nicht, indem wir unseren rechten Zeigefinger und das link Knie fitter machen. So probieren wir nicht Fitness aus. Fitness bezieht sich auf das Ganze. Agilität bezieht sich auch auf das Ganze. 

Unsere ein oder zwei agilen Teams im Bild oben sollen nun die Benefits von Agilität realisieren, wobei sie aus 50-Pozentern bestehen, die sich an einen 5-jährigen Markteinführungsprozess halten müssen, mehreren Herren mit verschiedenen Agendas dienen, ein Jahr im Voraus budgetiert sind, letztlich kaum Empowerment haben und Abhängigkeiten, die kreuz und quer in die gesamte Organisation reichen. Das ist schwierig. Echt schwierig.

Ich bin kein Arzt, aber ich denke, wenn man jeden Tag 45 Minuten spazieren geht, wird man eher fit, als wenn man 2h den rechten Zeigefinger trainiert und 2h das linke Knie. Das eine ist lokale Optimierung, das andere globale. Und lokale Optimierung ist nicht agil. 

 

Das Ganze ist etwas anderes als die Summe der Teile

Die Frage ist: Was bedeutet Spazierengehen für uns im übertragenen Sinne? Die Antwort ist, glaube ich: Wie diskutieren wir in der gesamten Organisation darüber, wie wir schneller lernen? Wie wir uns ständig gemeinsam verbessern? Wie wir schneller und zuverlässiger liefern? Wie wir die Menschen, mit denen wir arbeiten, begeistern und die Menschen, für die wir arbeiten? Wie skalieren wir diese Diskussion und die resultierenden Experimente? Alles ist ein Experiment. Auch jede Organisation ist ein Experiment. Die Lebenszeit von Unternehmen wird immer kürzer. Experimente können scheitern, so ist das halt.

Irgendwie habe ich aber den Eindruck, wird mehr über Zuschnitte von Pilot-Teams diskutiert, ob Herr Mayer und Frau Müller doch eher 60% oder 70% in der Linie bleiben, weil man so viel zu tun hat, dann natürlich ob man JIRA benutzen soll und wie das Reporting des PO an die oberen Etagen auszusehen hat. 

Deshalb: Das große Ganze anschauen, prüfen, was hier Agilität bedeuten kann, gemeinsam diskutieren, eine Transformation mit Lean Change verfolgen und dann… natürlich… agile Teams bilden. Dann wird ein agiler Schuh draus.