Weniger ist mehr

Wie man sich fokussiert

Letztes Jahr las ich das Buch Essentialism von Greg Mckeown. Ich kann es extrem empfehlen. Hier sein Talk bei Google. Seine Botschaft “Konzentrier dich auf das Essentielle, mach weniger, und dafür richtig”. Diese Botschaft ist wohltuend und entschlackend. Man kann daran gar nicht oft genug erinnert werden.

 

Eigentlich begegnet einem diese Botschaft überall: Kanban, ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit, sieht zwingend vor, das “Work in Progress” (WIP) zu begrenzen. Also nicht zu viele Sachen gleichzeitig in Arbeit zu haben. Ein einfaches Rechenbeispiel: Wenn wir zehn Dinge á ein Tag Arbeit parallel machen, müssen wir jeden Tag zwischen zehn Aufgaben multitasken und es dauert zehn Tage, bis alle zehn fertig sind. Siehe Abbildung. Das ist die Variante NO-WIP-LIMIT. 

Wenn wir sie sequentiell nacheinander machen, also WIP-LIMIT gleich eins, sind neun Dinge früher fertig als im Szenario NO-WIP-LIMIT. Damit sinkt auch das Risiko extrem, weil uns ein Problem bei z.B. Task Nr. 8 nur die Tasks 8, 9 und 10 verhagelt… im Szenario NO-WIP-LIMIT dagegen alle, weil ja noch nichts fertig ist.

 

 

In Wirklichkeit ist der zeitliche Effekt noch extremer, weil Task-Switching das Gehirn Energie und Zeit kostet. Die zehn Sachen also parallel zu machen und andauernd zu “hüpfen”, führt dazu, dass es noch länger dauert, bis alles fertig ist.

 

OKR und 4DX — Fokus, Fokus, Fokus

Auch in den beiden Systemen zur Zielerreichung OKR und 4DX gilt die strenge Regel: Mach weniger! Objectives and Key Results (OKR) begrenzen die Anzahl der Objectives, also Ziele, die man sich vornehmen soll, auf zwei bis fünf. 

Die Four Disciplines of Execution (4DX) gehen noch weiter und sagen: Ein bis zwei wichtige Ziele (wildly important goals), mehr nicht. Studien zeigen, wenn sich ein Team auf zwei bis drei Sachen committet, bekommt es zwei bis drei Sachen fertig. Wenn es sich auf vier bis zehn Sachen committet, bekommt es ein bis zwei Sachen fertig. Wenn es sich auf 11 - 20 Sachen committet, bekommt es gar nichts fertig!

 

 

Was ist das Problem?

Warum ist es eigentlich so schwer, sich zu beschränken? Weniger Dinge anzugehen, sich weniger vorzunehmen, sich auf die wenigen, aber wichtigen Dinge zu konzentrieren? Auf “the vital few” statt der “trivial many”, wie McKeown es nennt? Ich sehe dafür drei Gründe:

  • Ehrgeiz
  • Spaß
  • Falsche Compliance

 

Ehrgeiz

Wenn du diesen Text hier liest, heißt das, du bist eine interessierte Person, suchst proaktiv nach Infos oder Inspirationen, kurz: Du bist jemand, der was auf die Reihe kriegt. Behaupte ich jetzt einfach mal. Jemand, der etwas auf die Beine stellen will. Du bist, sorry für das altmodische Wort, ehrgeizig. Nenn es anders, ich halte mich z.B. auch nicht für besonders ehrgeizig, aber ich will so viele Dinge machen, erreichen, ausprobieren… Ist das Ehrgeiz? Größenwahn? ADHD?

Das Thema Bücher als ein Beispiel: Ich habe so viel ungelesene Bücher zuhause, dass es (a) für eine kleine Bibliothek reicht und (b) richtig peinlich ist. Interessanterweise habe ich aber nie den Schluss gezogen: Ich fange jetzt einfach zehn Bücher gleichzeitig an und lese sie im Multitaksing. Für jedes Buch zehn Minuten pro Tag. Das ist doch viel besser, ich will sie ja alle lesen.

 

Das mach ich nicht. Da würde ich ja total durcheinander kommen. Komischerweise bin ich bei den Experimenten, Tasks, Vorhaben, Miniprojekten usw. längst nicht so vernünftig. Und deshalb komme ich auch durcheinander. Vom Problem “Mal was abschließen” ganz abgesehen. 

Man muss sich klarmachen, ob durch Kanban, OKR/4DX, Essentialismus oder auch ganz andere Ansätze, egal wie: Ehrgeiz, der kein Outcome erzeugt, ist fehlgeleitet. Zwei abgeschlossene Vorhaben sind besser als zehn angefangene. Glaub nicht, dass ich schulmeistern will, ich sage das vor allem zu mir selbst.

 

Spaß

Hast du dich schon mal dabei ertappt: Du gehst eine neue Sache an, sei es ein kleines Projekt oder auch nur ein Todo, weil du jetzt grad einfach deutlich mehr Lust darauf hat als auf die dröge Aufgabe, die du schon angefangen hast. Mir passiert das oft. Wenn ich mich dann frage: Warum machst du nicht erst mal X fertig, bevor du jetzt Y anfängst?? Dann sage ich mir: Arbeit muss auch Spaß machen! Y interessiert mich grad einfach mehr!

Das ist gut und schön. Das Problem ist halt, dass Menschen irrationale Wesen sind. Und Spaß und Freude sind wichtig, es rächt sich aber fast immer, mehr anzufangen, als man abschließen kann. Ich wechsle regelmäßig mein Todo-Listen-System, weil mein altes zu voll geworden ist. (Auch das ist peinlich, bitte verurteilt mich nicht. Für mich ist das: Inspect & adapt.)

Ein Mini-Trick für mich besteht darin, dass ich mir in mein WIP (Work in Progress) immer mindestens eine Sache ziehe, die mich wirklich freut. Dann ist die Versuchung, etwas Neues zu beginnen, zumindest etwas kleiner. Bei Kindern arbeitet man ja mit Belohungsystemen: Erst wenn Du Rechnen und Deutsch gemacht hast, darfst Du HSU (das Lieblingsfach) machen. Noch ein Mini-Tipp: Das funktioniert auch bei Erwachsenen.

 

Falsche Compliance 

Der schlechteste Grund, wenn ich das so frech sagen darf, zu viel gleichzeitig zu machen, ist: Weil es die anderen erwarten. Weil man “muss”. Weil es besser ist, dem Chef zu sagen “Ja, bin schon dran”, als ihm zu sagen “Nein, ist derzeit nicht Prio, sondern Backlog auf Platz 5. Ich denke, ich werde in 8 Tagen damit anfangen.” Kein Chef (der kein Kanbanista ist) will das hören.

 

Natürlich ist es schwierig, sich aus den Multi-Matrix-Multi-Projekt-Verpflichtungen zu lösen. Es erfordert brutale Ehrlichkeit, eine sozial unerwünschte Klarheit: “Ich kann das nicht machen.” Es erfordert Mut. Man muss ablehnen. Man muss nein sagen. McKeown beschreibt in seinem Buch eine Anekdote, bei der Peter Drucker (der Gottvater des modernen Managements) auf eine Interviewanfrage von Mihály Csíkszentmihályi (bekannt durch seine Arbeit zum “Flow-Zustand”) antwortete: Um produktiv zu sein, braucht man einen großen Papierkorb für all solche Anfragen, seien Sie mir nicht böse, dass ich ablehne.

Manchmal mutet diese brutale Klarheit auch erst einmal verrückt an. Im Scherz sagte ich mal zu einem Kollegen: “Kuck, meine Todo-Liste ist so lang, da könnte ich die untere Hälfte einfach löschen, es würde keinen Unterschied machen, hahaha.” Und dann dachte ich: Moment mal… ich mach das einfach! Ich löschte die Hälfte, es war ein befreiendes Gefühl, ein bisschen komisch auch, aber es war eine gute Idee. Nichts Schreckliches ist passiert. Die wichtigen Dinge kommen wieder  — und um die Unwichtigen ist es nicht schade. 

Also, tu dir was Gutes. Streich ein paar Sachen von der Todo-Liste. Nimm dir vor, mindestens einmal am Tag Nein zu sagen. Streich mindestens drei Meetings in der nächsten Woche. Fokussiere dich auf die wichtigen Dinge, sei brutal mit dem Rest. Denn: Weniger ist mehr.

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